Magnificat

Magnificat von Justin Heinrich Knecht (1752-1817)

Herausgeber Ralf Klotz

Strube Edition VS7215. 
Erstausgabe mit Partitur, Klavierauszug und Orchesterstimmenmaterial.
E
rscheint 2020

Dauer: ca. 30 Minuten
Besetzung: Cho
r SATB, Soli SATB, Orchester (2 Trompeten, Pauken, 2 Hörner, 2 Flöten, 2 Oboen oder Clarinetten, Streicher und Orgel).


Das Magnificat C-Dur

ist eines von insgesamt drei größeren oratorischen, lateinisch-liturgischen Kirchenwerke - neben dem „Dixit Dominus“ (1799) und „Te Deum“ (1801). Mit dem „Lobgesang der Maria“ gewann Justin Heinrich Knecht im Jahr 1792 in Frankfurt/Main einen nationalen Kompositionspreis, ein Hinweis auf die Qualität der Komposition sowie Knechts Bedeutung als süddeutscher Komponist zu seiner Zeit.

Auf der Titelseite seiner handschriftlichen Magnificat-Partitur ist im Vorwort folgendes zu lesen:

"Lobgesang der heiligen Jungfrau Maria / Magnificat / für vier Stimmen / und diverse Begleitinstrumente / in Musik gesetzt / von / Justino Henrico Knecht..."

Knecht gliedert sein Magnificat in sechs in sich abgeschlossene Sätze. Auffallend ist ein konsequenter Wechsel von 4er-Takt und 3er-Takt von Satz zu Satz. Es ist nicht verwunderlich, dass Knecht als Verehrer Johann Sebastian Bachs ebenfalls zu Mitteln der Tonsymbolik für die Zahlen drei und vier greift: Maria, die Schmerzensmutter, mit dem 4er-Takt als Sinnbild des Irdischen und Maria als Mutter des Gottessohnes mit dem 3er-Takt als Sinnbild des Göttlichen. Knecht entscheidet sich für folgende, für ihn "typische" Besetzung: Der vierstimmige Chor dominiert und ist begleitet von einem Orchester mittlerer Größe, nämlich 2 Trompeten, Pauken, 2 Hörner, 2 Flöten, 2 Oboen oder Clarinetten, Streicher und Orgel.

1 Durch seine großflächige und schlichte Harmonisierung wirkt der mit Trompeten und Pauke besetzte Eingangschor, ein Allegro maestoso, festlich und leicht zugleich. Ganz im Geiste der Klassik überwindet Knecht kompositorisch den als überladen empfundenen Barockstil (obwohl er im „Bachschen Stil“ ausgebildet ist). Knecht beweist sich als galanter Frühklassiker durch großräumige Harmonisierung, eingängige Melodien, periodische Taktgruppen und kontrastierende forte-piano-Dynamik. Chor und Solistenensemble wechseln ununterbrochen miteinander ab. Schon nach wenigen Anfangstakten Orchester und Chor lässt er im Sopransolo "Und mein Geist freut sich Gottes, meines Heils" Maria selbst ihren Lobgesang anstimmen. Anlass zur Freude ist das Engelswort, welches ihr das Zur-Welt-Bringen des Heilandes der Welt verheißt.

2 Empfindsam, virtuos und ausladend präsentieren sich die zwei sich anschließenden Soloarien der Frauenstimmen Nr. 2 und Nr. 4. Arien für Männerstimmen fehlen.
Die Sopran-Arie "Ecce enim" ist mit 2 Flöten, die Alt-Arie "Suscepit Israel" hingegen mit 2 Oboen besetzt. Beide Arien sind ebenfalls im empfindsamen, galanten Stil komponiert und verlangen einiges an Stimmtechnik ab. Während die Sopranarie durch Koloraturen und schnelle Tonleitern besticht, zeichnet sich die Altarie durch sehr lange Haltetöne aus.

3 Die Vokalfuge "Fecit potentiam" ist das einzige Stück in Moll und läßt die dem Text innewohnende Dramatik in Ansätzen spüren. So ist der Anfang mit dem Text "Gott übt Gewalt mit seinem Arm" der Gesetzesstimme Gottes, d.h. dem Solobass, zugeordnet, außerdem mittels Punktierungen rhythmisch verschärft. Darauf folgen verstreute Texteinwürfe "Dispersit superbos / er zerstreut die Hoffärtigen". Dass Gott die irdischen Machtverhältnisse gewaltig aufwirbeln kann, zeigt sich schön in den chorischen Kreiselfiguren bei den Wörtern "diespersit superbos / er zerschlägt die Hochmütigen" sowie "divites dimisit inanes / und lässt die Reichen leer ausgehen". Wie in Nr. 1 wechseln sich Solistenquartett und Chor nochmals abschnittweise ab. Streicher und Holzbläser spielen den Satz colla parte mit.

4 Nach der Alt-Soloarie "Suscepit Israel / Gott hilft Israel barmherzig auf" folgt, so wie es die Liturgie fordert, das trinitarische "Gloria Patri".

5 Das "Gloria Patri" (Ehr sei Vater, Sohn und Heiligem Geist) steht kontrastvoll in einer Umgebung von reiner Polyphonie und Sologesang und wirkt an dieser Stelle als homophoner, choralartiger Satz außerordentlich festlich. Der in der originalen Bewerbungspartitur (noch?) nicht registrierte Chorsatz wurde von Ralf Klotz orchestral ergänzt.

6 Nahtlos folgt die Schlussfuge "nunc et semper / von nun an bis in Ewigkeit". In formaler Konsequenz wird das konservativ-barock anmutende Thema fließend und allgegenwärtig durchgeführt. Diese im Tutti besetzte zweite Fuge (vgl. Nr. 3) korrespondiert zum Eingangssatz und beschließt das Werk. Ein letztes Amen mit Echo und großem Schlusscrescendo setzt einen gewichtigen Schlusspunkt. Hier zeigt Knecht seine von Zeitgenossen gerühmte Stärke im stylus gravis, dem kontrapunktischen, streng-kirchlichen Kompositionsstil, und erfüllt damit die Anforderungen des Kompositionswettbewerbes: Man wird in der Beurtheilung darauf sehen, ob das Verständnis der reinen Harmonie vorhanden sey, und verlangt daher sonderlich zwey mit Kunsteinsicht durchgearbeitete Fugen."

Würdigung

Die ersten beiden der insgesamt drei großen Knechtschen Kirchenmusikwerke Magnificat, Dixit Dominus und Te Deum sind Wettbewerbskompositionen. Es besteht von Seiten Knechts daher zwar die Absicht einen Kompositionspreis im Wettbewerb zu erzielen, dennoch kann man gerade dem Magnificat ganz und gar nicht dessen Allgemeingültigkeit und Spiritualität absprechen. Ganz im Gegenteil: mit äußerster Sorgfalt kleidet Knecht Wort für Wort des Textes in passende Musik des neuen Zeitstils, die emotional erreicht. Gleichzeitig erliegt er nicht der Versuchung der Effekthascherei. Knechts große Leistung ist es, über den Wettbewerbsanlass hinaus ein überzeitliches Werk geschaffen zu haben, das geistliche Wirkung hat, das heute noch anspricht und dem eine weitere Verbreitung zu wünschen ist.              Ralf Klotz

Justin Heinrich Knecht (1752-1817)

wirkte in Biberach an der Riss und am Stuttgarter Hof und galt zu seiner Zeit als einer der angesehensten Komponisten in Süddeutschland und im deutschsprachigen Raum. Joseph Haydn selbst brachte Knecht höchste Wertschätzung entgegen. Bisher war Knecht in Musikerkreisen v.a. bekannt durch seine Orgelwerke. Die Notenausgabe und CD "Magnificat" schließt einen Teil der Lücke in diesem Bereich und stellt seine Chormusik gleichzeitig einem breiten Publikum zur Verfügung.

Knecht wurde am 30. September 1752 in Biberach als Sohn des Kollaborators (Behelfslehrer) und evangelischen Kantors Johann Georg geboren. Waehrend seiner Ausbildungslaufbahn im Alumnat (Pflegestaette von kirchlichem Chorgesang und Instrumentalmusik), an der Lateinschule und schliesslich, sechzehnjährig, am Kollegiatstift Esslingen foerderten ihn fundiert im Klavier-, Orgel-, Violinspiel, Gesang, im Spielen verschiedener Blasinstrumente, im Komponieren und Sachverstand der evangelische Musikdirektor Doll, der Organist Cramer und der Dichter Chr. M. Wieland. In Esslingen wurde er angeregt durch das Orgelspiel des Musikdirektors G. D. Schmid und Chr. F. D. Schubarts Klavierspiel. Hier lernte er spaetbarocke Kompositionen und musiktheoretische Schriften, insbesondere von Marpurg und C.P.E. Bach, kennen. Neunzehnjaehrig kehrte Knecht im Jahr 1771 nach Biberach zurueck und trat in der Nachfolge von Doll als Musikdirektor - neben der Mitwirkung bei der Evang. Komoediantengesellschaft - sein anstrengendes Doppelamt in Kirche und Schule an, weswegen ihm ein Universitaetsstudium untersagt blieb. Erst 1792 konnte er sein Lehramt beenden und uebernahm das evangelische Organistenamt an der simultanen Stadtpfarrkirche.

Knecht konnte schon in fruehester Jugend die Musik seiner Zeitgenossen studieren in Konzerten der Warthauser Hofkapelle des Grafen Stadion und in den Partituren des lokalen Musikgeschaeftes Kick. Knecht konzertierte, komponierte und verfasste musiktheoretische und musikpaedagogische Schriften, und hob das buergerliche Musikleben in Biberach auf einen ansehnlichen Stand.

Sein Verlangen nach groesserer Entfaltungsmoeglichkeit und Ortswechsel wurde allerdings erst im Jahre 1806, im Alter von 54 Jahren, erfuellt. Er wurde vom wuerttembergischen Koenig zum 2. Musikdirektor ("Direktor beim Orchester") am Stuttgarter Hof ernannt, eine Stellung, von der er aber - weil er mit der Situation am Hof nicht klar kam - schon wieder im November 1808 entlassen wurde. Knecht soll - so beschrieben in J. B. Pflugs "Erinnerungen eines Schwaben" - hierzu gesagt haben: "...da will ich lieber in Biberach bei meinem Bierle sitzen, als eine solche Hofluft atmen, die mich vom freien zum unfreien Menschen machte. Nur keine solche eigenliebische, niemals fehlen wollende Musik=Menschen dirigieren zu wollen!".

So setzte er sein Schaffen wieder in seiner alten Funktion in Biberach fort, beeinflusst vom Vorbild des zeitgenoessischen Theoretikers Georg Joseph (Abbé) Vogler, wo er nach einem Schlaganfall am 1.12.1817 starb. Sein Geburtshaus stand auf dem Obstmarkt, sein Wohnhaus liegt zwischen Weberberg und Marktplatz, heute Justin-Heinrich-Knecht-Strasse 1. Ein Epitaph in der Heilig-Geist-Kirche erinnert an ihn. Jakob Friedrich Kick wurde von 1818-76 Amtsnachfolger Knechts.

Knecht praegte das Musikleben Biberachs, Wuerttembergs und Sueddeutschlands beachtlich in seiner Position als musikalisches Bindglied zwischen Klassik und Romantik. Von vielen Zeitgenossen geschaetzt, hinterliess Knecht ein beachtliches Oeuvre an Kirchenmusik (Vokal- und Orgelmusik), aber vor allem auch an weltlicher Musik (Opern, Instrumentalmusik) und Lehrwerken, aus denen sein wuerttembergisches Choralbuch von 1799, seine Programmsinfonie "Portrait de la nature" von 1784 (85), und seine "Vollstaendige Orgelschule" von 1795/ 96/ 98 herausragen. Mit dem "Magnificat (1792)" und dem "Dixit Dominus (1800)" hat Knecht Kompositionspreise gewonnen. Am Ende eine Wuerdigung durch Joseph Haydn: "noch schliesse ich mich nicht aus, den Lorbeerkranz zu verdienen, dessen alle Komponisten, besonders aber Knecht, wuerdig sind."